Das Erkunden von Friedhöfen ist ein spezifisches Phänomen, das bei Touristen und Einheimischen immer beliebter wird. Auf dem Gebiet der Hauptstadt gibt es in etwa achtzig davon, angefangen bei vernachlässigten, aber poetischen Kirchenfriedhöfen über jüdische Friedhöfe bis hin zu großflächigen Begräbnisstätten mit mehreren Dutzend Hektar. Die größere Zugänglichkeit der Friedhofsanlagen für die Öffentlichkeit geht einher mit der allmählichen Veränderung ihrer Funktionen. Längst sind sie nicht mehr nur Erinnerungs- und Gedenkorte für die Hinterbliebenen, sondern oft auch attraktive touristische Enklaven von großem kulturellen, historischen und spirituellen Wert. 6 Fotos zeigen Es ist daher nicht verwunderlich, dass man auf einigen Prager Friedhöfen mehr Touristen als Besucher der Gräber ihrer Angehörigen trifft. Aber keine Sorge — der Friedhofstourismus hat bei weitem keine Massendimensionen; die Symbiose von Pietät und Entdeckung der „Welt der Toten“ verläuft bisher problemlos. Es gibt mehrere Gründe, warum Menschen zunehmend den Genius loci der Prager Friedhöfe suchen. Die einen kommen hierher, um eine Art heilige Ruhe, Erholung, Entspannung im Grünen oder Besinnung zu finden; sie suchen hier Antworten auf die grundlegenden Fragen von Leben und Tod, der Endlichkeit des Seins… Andere sehen sie als Orte des kollektiven Gedächtnisses der Nation, suchen nach Gräbern und Geschichten berühmter Persönlichkeiten, bewundern Grabdenkmäler. Man trifft hier aber auch Mütter mit Kinderwagen, verliebte Paare, begeisterte Fotografen oder Studenten, die unter den Kronen alter Bäume lernen oder lesen. Die schönste und eine durch und durch mystische Atmosphäre haben die Friedhöfe jedes Jahr am 2. November, dem Allerseelentag (im Volksmund Seelentag genannt), wenn die Menschen ihrer verstorbenen Verwandten gedenken, die Gräber mit Blumen schmücken und Kerzen darauf anzünden. Nach Einbruch der Dunkelheit erstrahlen alle Nekropolen in Dutzenden, Hunderten, mancherorts sogar Tausenden von flackernden Lichtern. Wenn Sie sich gerade in dieser Zeit in unserer Metropole aufhalten und vielleicht nicht die Gelegenheit hatten, Halloween zu feiern, empfehlen wir als interessante Alternative einen Besuch eines der Prager Friedhöfe. Zur „heiligen“ Anička Es ist schwierig, aus der Vielzahl interessanter Gedenkorte in Prag die wichtigsten auszuwählen, dennoch möchten wir Sie auf einige fundamentale Orte hinweisen. An erster Stelle steht der wunderschöne Kleinseitner Friedhof (Malostranský hřbitov), der kürzlich umfassend renoviert wurde. Der Name selbst ist etwas irreführend, da er sich nicht auf der Kleinseite (Malá Strana Prag 1) befindet, sondern auf dem Gebiet des heutigen Stadtteils Smíchov (Prag 5), etwas versteckt zwischen den Straßen Plzeňská und Duškova unweit der U-Bahn-Station Anděl. Er entstand während der Pestepidemien im Jahr 1680 und wurde vor 200 Jahren geschlossen. Der Zauber des Kleinseitner Friedhofs liegt vor allem in der hohen künstlerischen Qualität der dortigen Statuen, Grabsteine und Grabplastiken im Allgemeinen. Unter ihnen sticht zweifellos der markante Grabstein des knienden böhmischen Fürsten und Passauer Bischofs Leopold Thun und Hohenstein hervor, dem Besitzer des nahe gelegenen Anwesens Cibulka. Doch auch viele andere bedeutende Persönlichkeiten sind hier begraben, wie zum Beispiel die Architekten des böhmischen Barocks, Vater und Sohn Dientzenhofer, oder der namhafte böhmische Maler Antonín Mánes. Das bekannteste Grab gehört allerdings keiner der großen Persönlichkeiten der böhmischen Geschichte, sondern dem Grab von Anna Degenová aus dem Jahr 1851 mit der Plastik eines liegenden Mädchens auf einem Steinsockel, um das sich mehrere Legenden ranken. Der wohl wahrscheinlichsten Legende nach starb Anička durch einen unglücklichen Sturz aus dem Fenster, die zweite besagt, dass sie in jungen Jahren an Tuberkulose starb. Im Lauf der Zeit wurde das steinerne Mädchen zu einer kleinen Pilgerikone — besonders die Kinder glauben noch heute, dass ihnen die „heilige“ Anička ihre geheimen Wünsche erfüllt und bringen deshalb Blumen, Spielzeug und Bilder als Dank zu ihrem Grab. Kleinseitner Friedhof | Quelle: www.malostranskyhrbitov.cz © Ivo Řehák Prager Père Lachaise Zu den beliebtesten Begräbnisstätten gehören auch die Friedhöfe von Olšany (Olšanské hřbitovy), der größte Prager Friedhofskomplex mit einer Fläche von über 50 Hektar. Die weitläufige rechteckige Anlage, die eher einem Stadtpark ähnelt, befindet sich in Prag 3 in Žižkov und ist durch die Straße Jana Želivského zweigeteilt, wobei die so entstandenen Teile wiederum aus insgesamt zwölf Einzelfriedhöfen bestehen. Schätzungen zufolge wurden hier seit ihrer Entstehung im Jahr 1680 etwa zwei Millionen Verstorbene beigesetzt, darunter auch viele bedeutende Persönlichkeiten der tschechischen Geschichte. Friedhöfe Olšany | Quelle: Prague City Tourism Ein Spaziergang über die Friedhöfe von Olšany ist ein Erlebnis, das jeden aufmerksamen Besucher berührt. Scheinbar endlose Reihen gepflegter Gräber mannigfaltigster Formen und Größen wechseln sich mit uralten, geheimnisvoll mit Teppichen aus kriechendem Efeu bedeckten Grabstätten ab. Bewundernswert sind auf dem Friedhof auch eine Reihe interessanter Bauwerke — Denkmäler, Kapellen, Zeremonienhallen, Kolumbarium-Mauern oder sogar eine kleine orthodoxe Kirche. Und all dies ist vom üppigen Grün stattlicher Bäume umwoben. Beachtung verdienen zweifellos auch die Militärfriedhöfe, auf denen die Opfer zahlreicher europäischer Kriegskonflikte ihre letzte Ruhestätte fanden. Ein eigenes Kapitel ist der Neue jüdische Friedhof im östlichen Teil des Geländes. Mit seiner Größe und der Anzahl der Grabsteine ist er das größte Denkmal seiner Art in der Tschechischen Republik. Auch hier wurden viele namhafte Persönlichkeiten aus Politik, Kultur, Wissenschaft und Industrie beigesetzt. Der wohl meistbesuchte Ort ist das Grab des Schriftstellers Franz Kafka (Grabnummer 21–14–21). Wie bereits in der Einleitung erwähnt, äußert sich die allmähliche Zugänglichkeit der Friedhöfe und die Aufklärung der Öffentlichkeit über Grabdenkmäler logischerweise in einem immer größeren Interesse an den Nekropolen in der Hauptstadt. Insbesondere der Friedhof von Olšany ist auf dem besten Weg, in absehbarer Zeit zu einer Art Pariser Père Lachaise zu werden — einem der berühmtesten und meistbesuchten Friedhöfe der Welt. Schon jetzt können Touristen hier ein Informationszentrum (Infos auch in Englisch) und kommentierte Führungen nutzen, Kammerausstellungen und Vorträge besuchen, oder auf dem Lehrpfad mit Informationstafeln, der die bekanntesten Grabsteine verbindet, wandeln. Unweit des Friedhofs von Olšany, an der Straße Vinohradská, befindet sich eine weitere großflächige Begräbnisstätte — der Friedhof von Vinohrady (Vinohradský hřbitov). Hier sind unter anderen Präsident Václav Havel und seine Frau Olga beigesetzt. Friedhof der großen Persönlichkeiten Vyšehrad mit seiner weithin sichtbaren St.-Peter-und-Paul-Basilika ist ein magischer Ort, der fest in der Geschichte Prags und der gesamten tschechischen Nation verankert ist. Es ist daher nicht verwunderlich, dass Sie gerade hier den berühmtesten tschechischen Größen — Schriftstellern, Komponisten, Schauspielern, Künstlern, Sportlern oder Politikern — in aller Stille gedenken können. Der Friedhof von Vyšehrad (Vyšehradský hřbitov ) mit seinen erhabenen Arkaden und der unübersehbaren Dominante — dem monumentalen Slavín-Grabmal — ist buchstäblich ein Pantheon klingender Namen. Hier sind beispielsweise die Komponisten Bedřich Smetana, Antonín Dvořák, der Bildhauer Josef Václav Myslbek (Autor der Statue des hl. Wenzel auf dem Wenzelsplatz), der Schriftsteller Karel Čapek oder der Dirigent Rafael Kubelík begraben. Dieser höchst pietätvolle Ort ist für viele (nicht nur) Prager auch eine „Galerie des Stolzes“, eine Erinnerung daran, wie viele herausragende Persönlichkeiten die tschechische Nation hervorgebracht hat. Friedhof von Vyšehrad | Quelle: Prague City Tourism wie man zu den Friedhöfen gelangt Kleinseitner Friedhof U-Bahn: Linie B, Station Anděl Straßenbahn: Linien 9, 10, 15, 16 (Haltestelle Bertramka) Friedhöfe von Olšany U-Bahn: Linie A , Station Flora, Želivského Straßenbahn: Linien 10, 11, 13, 15, 16 (Haltestelle Olšanské hřbitovy) Straßenbahn: Linie 26 (Haltestelle Mezi hřbitovy) Friedhof von Vyšehrad U-Bahn: Linie C, Station Vyšehrad Nützliche Informationen und Kontakte Öffnungszeiten der Friedhöfe (täglich) März—April: 8:00—18:00 Uhr Mai—September: 8:00—19:00 Uhr Oktober: 8:00—18:00 Uhr November—Februar: 8:00—17:00 Uhr (Kleinseitner Friedhof täglich ab 9:00 Uhr) Aktuell: Hřbitovní a pohřební služby Praha (Friedhofs- und Bestattungsdienste Prag) Neuer jüdischer Friedhof (täglich außer Samstag und jüdische Feiertage) November—März: 9:00—16.00; Fr. 9:00—14:00 Uhr April—Oktober: 9:00—17:00; Fr. 9:00—14:00 Uhr