Der britische Dramatiker und Drehbuchautor Tom Stoppard, der für sein Drehbuch zu Shakespeare in Love einen Oscar erhielt, stammt aus der Tschechischen Republik. Vielleicht hat ihn deshalb die kommunistische Diktatur in unserem Land nicht kalt gelassen und er beschloss, für die Menschenrechte zu kämpfen und tschechische Dissidenten wie Václav Havel zu unterstützen. Auch heute kann man in Prag auf den Spuren des Untergrunds wandeln. Und zum Beispiel an der Lennon-Mauer beginnen. Tom Stoppard wurde 1937 als Tomáš Straussler in der Tschechoslowakei geboren. Sein Vater, ein Arzt beim Baťa-Unternehmen, erhielt 1939 die Möglichkeit, nach Singapur auszureisen, was wahrscheinlich das Leben seiner jüdischen Familie rettete, die mit Sicherheit in ein Vernichtungslager deportiert worden wäre. Erst 38 Jahre später besuchte der spätere Oscar-Preisträger und Drehbuchautor Tom Stoppard die Tschechoslowakei erneut. Doch zu dieser Zeit herrschte hier anstelle des nationalsozialistischen Totalitarismus bereits dreißig Jahre lang ein anderer Totalitarismus, der kommunistische. So kam Tom Stoppard 1977 in sein bizarr von Stacheldraht umgebenes Heimatland, als die Frustration der frei denkenden Tschechen ihren Höhepunkt erreichte. Nur drei Jahre nach dem Sieg über den Nationalsozialismus im Jahr 1945 hatte die Kommunistische Partei durch einen Verfassungsputsch die Macht in der Tschechoslowakei übernommen. Die Nachkriegsjahre waren also keine Atempause vom Kriegsende, sondern eine Periode des schrecklichsten Stalinismus, voller Justizmorde. Der Prager Frühling, ein Versuch der politischen Liberalisierung, wurde jedoch 1968 durch den Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts in die Tschechoslowakei und die Besetzung des Landes durch sowjetische Truppen bis 1989 paralysiert. Menschenrechte und Freiheiten wurden grausam unterdrückt. Aus Protest gegen diese Situation organisierten sich die tschechischen Dissidenten und gründeten die Initiative Charta 77, die die Achtung der Menschenrechte forderte. Einer der Anstöße für diese Initiative war der fingierte politische Prozess gegen Mitglieder der tschechischen Rockband The Plastic People of the Universe und andere Vertreter des Untergrunds. All dies fand später seinen Niederschlag im Werk von Tom Stoppard. In der aufgeheizten Atmosphäre seines ersten Besuchs in Prag traf Stoppard die Unterzeichner der Charta 77, den Schriftsteller und Dramatiker Pavel Kohout und den Schauspieler Pavel Landovský, und lernte durch sie weitere Dissidenten kennen, darunter auch Václav Havel. Havels Alter Ego Ferdinand Vaněk wurde auch deshalb zu einem der Helden von Stoppards ehrbarsten Stück – Rock ‘n’ Roll aus dem Jahr 2006, das 2007 am Nationaltheater seine tschechische Erstaufführung erlebte. Wie der Titel vermuten lässt, spielt auch darin die rebellische Musik eine ganz wichtige Rolle. Es ist Stoppards künstlerische Reflexion darüber, wie sein Leben verlaufen wäre, wenn sich seine Familie nach dem Krieg nicht in Großbritannien niedergelassen hätte, sondern in die Tschechoslowakei zurückgekehrt wäre. Mit den Worten des zögerlichen Intellektuellen Jan stellt er sich so eine Reihe beunruhigender Fragen über das Verhältnis zwischen menschlicher Freiheit, Mut und Charakterstärke. Gleichzeitig stehen seine rationalen Überlegungen in einem interessanten Spannungsverhältnis zu den marxistischen Hirngespinsten von Professor Max, einem Dozenten in Cambridge, dem zweiten Schauplatz des Stücks. Die Handlung erstreckt sich über einen Zeitraum von zwanzig Jahren, vom Beginn der Normalisierung bis zum ersten freien Konzert der Rolling Stones in Prag. Gerade dieses Konzert ist ein wichtiger Meilenstein, denn die Rockmusik zieht sich als Symbol der ungezügelten Freiheit durch das gesamte Stück. Und auch Umgekehrtes – die Zerstörung der Schallplatten bei der Hausdurchsuchung symbolisiert die Zerstörung der freien Kultur. In der Tschechoslowakei wurde diese Fackel von halblegalen oder gänzlich verbotenen Untergrundbands getragen, allen voran The Plastic People of the Universe. Sie tritt in dem Stück nicht direkt auf, ist aber ständig präsent. Tom Stoppard führt uns in den Bildern seines Stücks an ganz bestimmte Orte, die auf der Landkarte des kulturellen Widerstands gegen das kommunistische Regime eingezeichnet sind: in die Kneipe Klamovka, wo sich die Prager Dissidenten trafen, nach Bojanovice bei Prag zur Hochzeit des künstlerischen Leiters der Plastics, Ivan Martin Jirous, oder zur ikonischen Lennon-Mauer am Großprior-Platz. Das vorangestellte Foto wurde 1967 von Jane Bown aufgenommen.